Lichtblick im Wochenblatt, 4. Oktober 2024:
Gibt es noch Hoffnung?
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: mir fällt es zuweilen schwer, die täglichen
Nachrichtensendungen anzusehen. „Was ist denn gerade los mit uns?“, frage
ich mich im Angesicht der Grausamkeit, die man „live“ aufgetischt bekommt,
oder der Dummheit so manch einer politischen Entwicklung. Ist das noch
normal?
Aber auch auf der kleinen Bühne geht es zuweilen hoffnungslos zu. Ein mieser
Umgangston macht sich im Alltag breit. Wegen Kleinigkeiten werden
Beziehungen „gecancelt“, wie es heute heißt. Es wird aufgewiegelt, Streit wird
angezettelt – am liebsten anonym über die sozialen Medien.
Und dann dieses Klagen! Nichts scheint mehr gut zu sein! Gar nichts! Alles
scheint im Argen zu liegen.
Sicherlich ist so einiges beklagenswert, keine Frage. Doch wer nur noch auf
„Fehlersuche“ aus ist, der sieht dann irgendwann nur noch Fehler. Er übersieht
dabei schnell, was weiterhin gut und schön ist.
Ja, so können Hoffnungen schwinden. Manchmal wegen der Dinge, die man
um sich herum sieht und erlebt. Oder aber wegen der Augen, mit denen man in
die Welt hineinsieht. Der Mensch hat nämlich verschiedene „Augen“, die jeweils
ganz verschiedene Dinge sehen. So kann man zum Beispiel mit den Augen des
Herzens sehen: sie offenbaren, was dem natürlichen Auge oft verborgen bleibt.
Oder mit den Augen des Glaubens. Auch sie offenbaren Neues. Sie erkennen
Zusammenhänge, die mit bloßem Auge gar nicht auszumachen sind. Sie
ordnen unsere alltäglichen Erfahrungen, schöne und schwierige, in Gottes
Geschichte und Verheißungen ein. Sie sehen Gottes gutes Wort, das als
Überschrift über unserem Leben steht. Sie erkennen die Kraft und die
Schönheit einer Welt, in der Gerechtigkeit, Friede und Versöhnung im
Mittelpunkt stehen.
Häufig steht dies im deutlichen Widerspruch zu manch einer konkreten
Erfahrung. Doch erkennt der glaubende Blick schnell, dass nicht die
Verheißungen Gottes falsch sind. Nein, es ist eher andersherum: es sind die
Welt oder das eigene Leben, in denen oft so einiges falsch liegt.
Heißt das nun, dass man sich von der erlebten Wirklichkeit davonstehlen soll,
hin zu dieser schönen Welt, die die Augen des Glaubens sehen? Glaube als
Rückzug also, gar als Flucht in eine Parallelwelt?
Keineswegs. Diese Welt hier bleibt weiterhin der Ort, in dem wir leben.
Christlicher Glaube bedeutet nicht, sich in Scheinwelten zu flüchten. Vielmehr
erwirkt er, sich mit Hoffnung in dieser Welt zu verorten. Denn diese Hoffnung
scheint hell in unser tägliches Leben hinein – hier und jetzt. Sie durchleuchtet
so manches Dunkel, das uns umgibt. Sie richtet ihren Schein auf das Helle und
Gute, damit wir es nicht übersehen. Sie weist Wege und schenkt den Mut, auch
mal selbst im Sinne der Hoffnung tätig zu werden: miteinander sprechen, statt
zu canceln; Frieden stiften, statt Streit anzuzetteln; beruhigen, statt zu agitieren;
versöhnen, statt zu entzweien.
Gibt es noch Hoffnung? Ja, unbedingt. Nicht immer aufgrund der Dinge, die wir
in unserem Alltag sehen und erleben. Doch weiterhin wegen der Dinge, die Gott
verheißt, und die wir schon jetzt in den Blick nehmen dürfen. Darum ist
Hoffnung angebracht. Sie entfaltet sich zu einer verändernden Kraft. Sie
mobilisiert und ermutigt zum Handeln. Nicht erst morgen, oder wenn alles
vorbei ist. Sondern hier und jetzt, wo wir mittendrin stehen.
Pfr. i.R. Martin Junge
(Für die Evangelischen Gemeinden Teneriffa Nord und Süd)
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